Im hektischen New York muss er wie ein exotischer Ruhepol gewirkt haben: der Komponist Moondog, der im Big Apple in Wikinger-Montur zur Institution wurde. Sein ungewöhnlicher Lebensweg verschlug ihn Mitte der Siebziger Jahre nach Deutschland. Eine Spurensuche mit der 2011 verstorbenen Zeitzeugin Ilona Sommer.
Moondog. bürgerlich Louis Thomas Hardin, wurde am 26. Mai 1916 in Marysville, Kansas, geboren. In den Zwanzigern zog er mit seinem Vater, einem Prediger, durch Indianerreservate in Wyoming. Hier erlebte er seinen ersten bewussten Kontakt mit Musik, als er auf dem Schoß des Häuptlings Yellow Calf die Sonnentanztrommel des Stamms spielen durfte. Am 4. Juli 1932 trifft den Sechzehnjährigen ein harter Schicksalsschlag: Beim Versuch, zur Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages Knaller zu basteln, erblindet er nach einer Explosion. 1943 kommt er nach New York, wo er als Straßenmusiker und durch den Verkauf eigener Gedichte und Noten ein hartes Brot verdient, aber auch in Kontakt mit Persönlichkeiten wie Leonard Bernstein, Frank Zappa oder Marlon Brando kommt. Bald erwacht sein Interesse für nordische Mythologie. Seit 1947 nennt er sich Moondog: zum einen, weil sein Blindenhund Lindy mitunter herzzerreißend den Mond anheulte, zum anderen durch seine Faszination an der Edda.
Musikalisch lässt sich die Tonkunst Moondogs schwer kategorisieren: Einflüsse von Klassik und zwingenden Jazz gehen in seinem Mal fröhlichen, mal episch-getragenen Stücken Hand in Hand, was nur scheinbar im Widerspruch zu seinem strengen Kompositionsstil – das musikalische Gesetz des Kontrapunkts praktizierte er konsequenter als Bach – steht. Daneben scheint der gelegentliche Gebrauch einer monoton den Rhythmus vorgeben Trommel noch an die indigenen Wurzeln seiner Musik zu erinnern – de facto halfen sie dem blinden Moondog beim Dirigieren von Orchestern und Ensembles, ersetzten also den Dirigentenstab.
Gestrandet auf dem alten Kontinent
1974 flog Montag nach einer Einladung des Hessischen Rundfunks nach Deutschland – und blieb. Bald verschlug es ihn nach Recklinghausen, und er sorgte für Aufmerksamkeit – auch bei jener Frau, die ihn für den Rest seines Lebens begleiten sollte: „Er war in seiner Montur schon ein ziemliches Stadtgespräch“, erinnert sich Ilona Sommer. Den Ausschlag, mit dem Musiker in Kontakt zu treten, gab ihr Bruder – es folgte eine ebenso märchenhafte wie weihnachtliche Geschichte: „Wir besorgten in Recklinghausen Weihnachtsgeschenke. Dabei sahen wir ihn in der Einkaufsstraße, und mein Bruder war natürlich völlig fasziniert. Er war ja die perfekte Verkörperung des Weihnachtsmanns. Mein Bruder wollte ihn unbedingt zu Weihnachten nach Hause einladen.“
Seine Musik war der Familie unbekannt, und der Gedanke, einen fremden Mann am Gabentisch sitzen zu haben, für die Eltern zunächst wenig verlockend. Doch der Zufall half: „Ich kam an einem Plattenladen vorbei, wo eine Moondog-Schallplatte im Schaufenster stand. Die hab ich gekauft, und die ganze Familie war hin und weg.“ Glückliche Fügung war auch, dass eines seiner Orgelwerke zeitnah in Anwesenheit des Künstlers aufgeführt wurde: „Ich sprach ihn nach dem Konzert an. Ich habe ihn gefragt, ob es nicht schwer wäre, die Musik auf Papier zu bringen, und habe ihm angeboten, die Musik zu übertragen.“ Und so kam eines zum anderen: „Ich besuchte ihn zu Hause und stellte fest, dass er nicht gerade komfortabel lebte. Er hatte Grippe, und ich bekam sie auch. Meine Eltern haben dann gesagt, dass er zu uns kommen solle, um sich auszukurieren. Er wurde dann richtig krank und blieb zwei Wochen. Danach konnten wir uns nicht mehr von ihm trennen!“
Megamind Moondog
Sommer gründete den Musikverlag Managarm, der sich um die Rechte von Hardins Kompositionen und Schriften kümmerte. Sie war es auch, die ihm das Wikingerkostüm ausredete: „Er hat sich alles selber genäht, weil er kein Geld hatte. Man muss bedenken, dass er blind war, und er war nun mal kein Schneider. Also hielt er sich an quadratische, symmetrische Stoffe, mit denen er sich einwickelte. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht. Bei uns war er nicht mehr darauf angewiesen. Die neuen Klamotten waren auch viel bequemer.“
In Moondogs Musik findet sich zweifellos eine spirituelle Note, etwa im Gebrauch der neun Obertöne. Für Moondog waren sie ein klanglicher Nachhall der kosmischen Schöpfung und boten direkten Kontakt zum Schöpfer, den er „Megamind“ nannte. „Er glaubte an etwas höher Stehendes, das hinter der Schöpfung steht. Er ist aber auch davon ausgegangen, dass jede Art und Spezies ihren eigenen Gott hat. Das ist im Grunde ganz logisch: wenn es einen Gott gebe, der für alle Menschen zuständig ist, gebe es auch keine Kriege! Er war auch von Rupert Sheldrick beeinflusst. Der geht von einer Art kollektiver Datenbank („morphische Felder“, Anm. Convolutum) aus. Das ist der Grund, warum alles Wissen, alle Erkenntnisse und alles Gelehrte weltweit parallel abläuft. Ich denke, die Theorie Sheldricks erklärt das. Man hat Experimente mit Ratten gemacht: Die meisten Ratten waren nicht in der Lage, das Experiment zu lösen. Nachdem aber die erste Ratte das Experiment geschafft hatte, konnte dass die anderen Ratten, rund um den Globus und in anderen Laboratorien, auch. So in die Richtung dachte Louis. Er glaubte an eine höhere Stufenordnung der Schöpfung.“
Hardlin starb am 8. September 1999. Er hätte laut dem Musikjournalisten und Moondog-Kenner Berthold Klostermann gerne noch einen Tag länger gelebt, um seiner Zahl, der schöpferischen Neun, näher zu sein.
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