Tenhi: Klangarchitektur aus Finnland

Das Zwischenwelten-Festival 2007 in Koblenz lockte Freunde des Neofolks mit Auftritten von Spiritual Front, Dornenreich, Neun Welten und Tenhi. Letztgenannte überraschten mit einem neuen Live-Konzept; E-Gitarre, E-Bass, Keyboards und Schlagwerk blieben zu Hause, und man setzte allein auf Saiteninstrumente: Drei Akustikgitarren, ein Akustikbass, eine Violine und vier männliche Stimmen. Das reichte vollkommen, um die einzigartige Stimmung der Tonträger, trotz Tageslichts und des mit Open Air-Festivals untrennbar verbundenen lauten Lärmpegels, adäquat vorzubringen. Die Stimmen, allen voran die der Gastmusiker Jaakko Hilppö mit seinem charakteristisch tiefen Organ und der kontrastierende Tuukka Tolvanen, ergänzten sich perfekt und überhaupt wirkte das Quintett mit der neuen Gastmusikerin Paula Rantamäki gut eingestimmt.

Im Anschluss standen uns die Tenhi-Köpfe Tyko Saarikko und Ilmari Issakainen zum Plausch zur Verfügung, was wir sehr dankend annahmen, da auf der Bühne der Festung Ehrenbreitstein der schwarzmetallische Kollateralschaden Samsas Traum als Co-Headliner die Nerven des Autors strapazierte.

Convolutum: Eure Musik hat auch heute wunderbar live funktioniert. War es eigentlich von Anfang an geplant, mit Tenhi auch live aufzutreten?

Tyko Saarikko: Im Grunde planten wir in den Anfangsjahren nicht, Konzerte zu geben. Damals waren wir ja nur zu zweit und spielten alle Instrumente alleine. Wir nahmen alles selbst auf: Schlagzeug, Gitarren, Bass und so weiter. Aber Tenhi veränderte sich mit den Jahren, neue Mitglieder stießen hinzu.

Ilmari Issakainen: Dadurch wurde uns möglich, live aufzutreten.

Tyko Saarikko: Zunächst luden wir nur andere Musiker ein, um auf unseren Platten zu spielen. Das weitete sich dann auch live aus.

Ilmari Issakainen: Ich denke, es ist auch ein Riesenunterschied, ob man mit anderen Musikern live oder im Studio zusammenarbeitet. Das ist auch der Grund, warum wir live anders klingen als auf Scheibe. Wir versuchen immer, uns nicht zu limitieren, aber auch nicht zu imitieren. Deshalb wollen wir auch immer Raum haben für Improvisationen, gerade live.

Convolutum: Ist es schwierig für Tenhi, auf Festivals tagsüber auf einer Open Air-Bühne zu spielen? Ihr wollt mit Eurer Musik Bilder evozieren, aber hier erreichte Eure Musik de facto nur die ersten Reihen…

Tyko Saarikko: Es war der erster Open Air-Auftritt überhaupt für uns, und natürlich ist es schwer, alleine mit den Stimmen und Akustikinstrumenten gegen den Lärmpegel anzukommen. Ich hoffe, es hat dem Publikum dennoch gefallen.

Ilmari Issakainen: Wir hörten schon während unseres Auftritts von irgendwoher Leute Trinklieder oder etwas in der Art singen, was irritierend war.

Tyko Saarikko: Andererseits sind wir während unserer Auftritte so sehr in unsere Musik versunken, dass uns so was eigentlich kaum erreicht. Es ist nicht einfach auf einem so gemischten Festival wie diesem, wo auch Metalbands spielen. Das wäre auf einem Festival, wo nur Gruppen von unserem Schlag spielen, sehr viel einfacher.

Geschichtsstunde

Convolutum: Letztes Jahr habt Ihr Euer zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Habt Ihr schon ein erstes Fazit Eures Schaffens und hat „Zeit“ im Schaffen Tenhis eine spezielle oder überhaupt irgendeine Bedeutung?

Ilmari Issakainen: Das ist zumindest für mich schwer zu beantworten. Das liegt an unserer Arbeitsweise, denn wir haben unser eigenes Studio, in dem wir permanent arbeiten und an unseren Liedern feilen. Man kann also nie sagen: „Dieses Album stammt aus diesem Jahr“ oder so, da das immer lange Prozesse sind, die eigentlich nie richtig abgeschlossen sind, da wir an den Liedern weiterarbeiten. Es handelt es sich aber auch nicht um eine Evolution. Das klingt jetzt paradox, trifft es aber (lacht). Die dritte CD unserer Kompilation „Folk Aesthetic 1996-2006 zeigt das ganz gut: Auf ihr befinden sich nur sehr alte und recht neue Demosongs und überraschenderweise, auch für uns, klingen sie recht ähnlich. Das war nach zehn Jahren wirklich erstaunlich festzustellen: Dass sich quasi nichts verändert hat.

Convolutum: Ihr habt Eure Jubiläumskompilation „Folk Aesthetic 1996-2006“ schon angesprochen. Wer hatte eigentlich die Idee dazu, Ihr oder Euer Label Prophecy?

Tyko Saarikko: Das war unsere Idee, wir dachten uns, dass es für unsere Hörer und uns selbst interessant wäre, mal einen Blick zurückzuwerfen. Erst wollten wir nur die dritte CD der Compilation, „Kaski“, veröffentlichen, aber es wurde immer mehr, und am Ende hatten wir zwei weitere CDs.

Ilmari Issakainen: Ich denke, wir mussten nach zehn Jahren einfach Großreinemachen. Einer der Wege, um dies zu gewährleisten war halt, all das Material, das noch in unseren Archiven schlummerte, zu veröffentlichen. Die ganzen Lieder waren da, und wir kannten sie, sie waren ja auch im Prinzip nur für uns gemacht, als Ausgangsbasis für spätere Versionen. Wir wollten das Material aber auch nicht unseren Fans vorenthalten, und ich denke, es war auch wichtig für unser Bewusstsein, uns von den alten Liedern zu befreien, um zu neuen Ufern aufbrechen zu können. Im Moment arbeiten wir auch wieder an neuem Material.

Convolutum: Interessanterweise gebt ihr als Gründungjahr immer das Jahr 1996 an. „Häie“, ein Titel der Zusammenstellung, ist hingegen schon von 1995. Wie kommt das denn zustande?

Ilmari Issakainen: Tyko schrieb das Tenhi-Demo „Kertomuksia“ ganz alleine um 1996 herum. Damals kannten wir uns noch gar nicht. „Häie“ hatte ich 1995 unabhängig von Tenhi geschrieben, war also noch gar nicht Mitglied. Daher diese zeitliche Verschiebung.

Convolutum: Ihr habt Euch für die Kompilation durch einen ganzen Berg alter Demo- und Probeaufnahmen gehört, sprich: Eure Archive durchwühlt. Welche Emotionen kommen da in einem hoch?

Ilmari Issakainen: Das war merkwürdig. Wir sind eigentlich sehr selbstkritisch. Wenn wir unsere Lieder oder Alben aufnehmen, sind wir an sich nie wirklich zufrieden. Wir wollen unsere Lieder eigentlich immer verbessern, das Bild, das wir malen, besser rüberbringen. Als ich mir die alten Aufnahmen anhörte, war ich über ihre Qualität überrascht, aber auch, dass wir es geschafft hatten, doch die Emotionen rüberzubringen, die wir ausdrücken wollten. Dennoch nutzten wir diese Aufnahmen nicht und wählten einen anderen Pfad, eine neue Wendung. Ich war also sehr glücklich und zufrieden über das Potenzial der Lieder, und das war wirklich überraschend, denn ich weiß noch, wie unzufrieden und angepisst wir waren, als wir mit ebendiesen Aufnahmen fertig waren.

Environmental Art 

Convolutum: Du hast gerade gesagt, dass ihre eure Lieder malt. Ich habe gelesen, dass zwei von Euch beruflich Architekten sind und einer Designer ist, richtig?

Ilmari Issakainen: Ja, das stimmt.

Convolutum: Das ist ganz interessant, da Tenhi trotz der Verwendung klassischer Instrumente und Songstrukturen, trotz der Wärme eurer Lieder für mich immer etwas von Klangarchitektur hat.

lmari Issakainen: Wie Du schon sagst: Es gibt da in der Tat eine Verbindung zwischen dem Beruf und der Art, wie wir Musik planen und designen. Da gibt es eine stille Übereinkunft, da wir auch ein Lied wie ein leeres Gebäude betrachten, das mit Leben gefüllt werden muss, als Endresultat. Der ganze technische Kram, der über das Grundgerüst eines Liedes hinausgeht, all das bedeutet uns nichts. Nur das, was am Ende rauskommt. Wir gehen mit einem fertigen Grundgerüst ins Studio und dort drapieren wir es, aber ohne Schlagzeugsolos oder Gitarrensolos, weil es uns alleine auf das Lied, die Stimmung und Vision an sich ankommt. Von daher gibt es eine Verbindung zur Architektur: Es geht ums Endresultat, ums Design. Da kann man nicht groß mit Details oder einzelnen Frakturen kommen. Wir haben eine feste Vorstellung von der Vision, die wir einfangen wollen und alles andere ordnet sich ihr unter, wie in der Architektur. So sehen wir uns auch als Musiker: Nämlich gar nicht wirklich als Musiker sondern als Künstler oder Architekten. Wir arbeiten, arbeiten und arbeiten für die Vision, nehmen neue Standpunkte ein und kontrollieren, ob alles Nötige vorhanden ist. Das ist sehr organisch: Wir arrangieren und arrangieren neu, planen und improvisieren, planen erneut und improvisieren. Aber wir denken immer an das Endresultat.

Convolutum: Tyko, meines Wissens bist Du für das Artwork Eurer Scheiben verantwortlich. In meinen Augen sind vor allem Deine alten Arbeiten sehr von Olavi Lanu beeinflusst. Würdest Du dem zustimmen?

Ilmari Issakainen: Ja, da gibt es Ähnlichkeiten. Ich mag ihn, er ist sehr symbolisch.

Tyko Saarikko: Ich mag mehr Hugo Simberg. In meinen Augen sind meine Bilder auf „Folk Aesthetic 1996-2006“ von ihm beeinflusst.

Convolutum: Olavi Lanu ist Teil der finnischen „Environmental Art Scene“. Könnte man nicht auch Tenhi im weiteren Sinne dort verorten, sozusagen als „musikalischer Arm“?

Ilmari Issakainen: Nun, die Künstler der „Environmental Art“-Szene wollen mit ihrer Kunst die Natur würdigen, indem sie diese in ihre Kunst einarbeiten. Das machen wir auch. Wir verzichten aber bewusst auf eine Aussage oder auf Botschaften in unserer Musik. Unsere Hörer finden die Natur in unserer Musik, da wir diese auf eine natürliche Art ehren. Deshalb haben wir uns auch kaum verändert, das zeigt ja „Kaski“. Wenn Du unsere Musik hörst klingt sie nicht unbedingt wie Musik aus dem Jahre 2007. Du hörst nur unsere Musik, und das ist die große Ähnlichkeit zur Ästhetik der Natur: Wenn du einen Baum betrachtest, handelt es sich um denselben Baum wie vor zehn Jahren – vollkommen zeitlos. Wir verstehen unsere Lieder als Momentaufnahmen ihrer selbst – wie Fotografien von Bäumen. 

Convolutum: Euer aktuelles Artwork unterscheidet sich in meinen Augen stark von Euren früheren Arbeiten. Vor allem das Motiv flammender Blätter und Blumen in Verbund mit Skeletten erinnert mich an die Kunst Seppo Similäs. Was denkt ihr darüber?

Tyko Saarikko: Seppo Similä? Den kenne ich leider nicht. Aber ja: Das Artwork hat sich verändert. Ursprünglich wollte ich nur ein Bild zum Lied „Vasen“ vom „Kaski“-Album, dem dritten Teil der „Folk Aesthetic“-Kompilation, machen. Den Rest wollten wir mit Fotografien der einzelnen Aufnahmesessions unserer Alben bebildern. Aber die Bilder sprudelten nur so aus mir hinaus. Irgendwann dämmerte uns, dass es auch ein bisschen langweilig und auch zu viel gewesen wäre, rein auf Fotografien zu setzen. Ich finde die Bilder trotz der Todessymbolik sehr lebensbejahend. Die neuen Bilder ergänzen sich gut mit dem Titelbild unseres ersten Demos („Kertomuksia“, Anm. d. Verf.), welches wir ebenfalls mit ins Beiheft gepackt haben (der abgebildete Schwan hat in der finnischen Mythologie eine traditionelle Todessymbolik und gilt als Begleiter des Totengottes Tuoni, Anm. d. Verf.). Da schließt sich ein Kreis.

Musikalische Wurzeln und Wahlverwandschaften

Convolutum: In meinen Ohren kann man auf Eurem Demo „Kertomuksia“ noch stark Eure damaligen Black Metal-Wurzeln heraushören mit Einflüssen wie Burzum oder Ulver. Auf „Havuisissa Saleissa“ taucht sogar eine Snare-Drum auf, die dem Ganzen einen gewissen Military-Touch verleiht. Würdet Ihr dem zustimmen?

Tyko Saarikko: Mit der Snare-Drum-Geschichte bin ich jetzt überfragt. Das mit deiner Black Metal-Beobachtung ist natürlich richtig. Wir waren damals alle im Black Metal verwurzelt. Die Stimmung ist ähnlich und das Demo ist auch recht primitiv. Mit Black Metal kann ich heute aber kaum noch was anfangen.

Ilmari Issakainen: Ich würde dem auch zustimmen. Für mich hat es auch etwas von Punk: Der Ausdruck war wichtiger als die Qualität der Musik. Das zählte.

Tyko Saarikko: Wir wollten damals einfach unsere Gefühle ausdrücken. Wir mussten auch mit dem auskommen, was uns an Ausrüstung zur Verfügung stand. Und das war eben kein Millionen Dollar-Studio. Dafür ist das Ergebnis ganz gut.

Convolutum: Wie seid ihr eigentlich damals auf Prophecy gestoßen, beziehungsweise: Seid Ihr auf sie aufmerksam geworden oder war das eher andersherum?

Tyko Saarikko: Dwar ja noch zu Zeiten, als dieses ganze Internet-Ding noch nicht so verbreitet war. Dafür gab es viele Magazine. Die gab es in einem Laden vor Ort zu kaufen, ebenso wie die ersten Prophecy-Veröffentlichungen, darunter auch Empyrium, die wir über Anzeigen in diesen Magazinen kannten. Da sie etwas Ähnliches wie wir machten, haben wir uns dann entschieden, Prophecy unser Demo zu schicken. Wir haben es auch an etwa zehn andere Label geschickt, aber nie Antwort erhalten. Nur Prophecy wollte uns und so fing es an.

Convolutum: Ihr seid ein Trio. Aber von „Häie“ abgesehen, das ja, wie wir jetzt wissen, ursprünglich nicht für Tenhi vorgesehen war, war Tyko am Anfang der alleinige Songwriter, richtig? Warum bist Du als Komponist und Texter erst so spät dazu gestoßen, Ilmari? Fehlte Dir noch das Selbstvertrauen?

Tyko Saarikko: Am Anfang war Tenhi alleine meine Vision. Am Anfang halfen mir Ilkka und später Ilmari nur bei den Aufnahmen meiner Lieder. Ob sie selbst mal Lieder schreiben würden, darüber haben wir nie gesprochen, einfach nicht darüber nachgedacht. Irgendwann wurde Tenhi dann unsere Vision, und sie brachten sich mehr ein. Eine Zeit lang waren wir dann ein Trio, speziell mit dem „Väre“-Album. Jetzt sind es mehr Ilmari und ich.

Ilmari Issakainen: Ich denke, dass am Anfang für mich nicht der Raum da war, um meine Ideen einzubringen. Wir haben damals auch gar nicht so „offen“ gesprochen, wie wir es heute machen. Rein verbal nie über Musik geredet. Wir haben Musik auch nie geplant oder Regeln aufgestellt wie „Lasst uns jetzt Folk oder Black Metal oder irgendetwas anderes machen.“ Wir haben immer rein intuitiv gearbeitet. Von daher würde ich sagen, dass sich in den letzten zehn Jahren einfach nur die Chemie in der Gruppe verändert hat. Wie Tyko schon sagte, ist Ilkka nicht mehr in dem Maße Teil in unserem kreativen Prozess wie früher, und eigentlich war er es auch nie in dem Maße wie Tyko.

Convolutum: Ilkka war 1997 und 1998 schon als Songwriter recht aktiv und taucht in den Credits zu „Hallavedet“ auf. Danach wurde er, kann ich das sagen, passives Mitglied?

Ilmari Issakainen: Ja, das kann man so sagen. Er spielt auch nicht mehr live bei uns.

Tyko Saarikko: Er hat mittlerweile andere Ziele im Leben, auf die er sich konzentriert. Ich denke schon, dass er noch in der Band ist, aber wir haben, wie immer (lacht), noch nicht darüber gesprochen, also wer weiß… Wenn er sich gegen uns entscheiden sollte, soll er das machen.

Ilmari Issakainen: Das ist jetzt keine Herzensangelegenheit, hat nichts mit Gefühlen zu tun, es geht halt nur um seine Prioritäten im Leben.

Convolutum: Man kann schon konstatieren, dass das Piano bei Euch eine immer wichtigere Rolle eingenommen hat. Wie kam das, ich meine, ursprünglich war doch Harmaa, ich sag mal, für „outgescourcte“ Pianostücke gedacht, die nicht zu Tenhi passten. Warum habt Ihr Eure Meinung geändert?

Ilmari Issakainen: Ich denke, dass hat mit dieser „Chemie-Geschichte“ zu tun, über die wir gerade geredet haben. Die Pianostücke haben nicht zu dem Tenhi-Konzept gepasst, dass wir anfangs hatten. Aber mit der Zeit, nachdem wir „airut:aamujen“ veröffentlicht hatten, merkten wir, dass es schlicht keinen Sinn macht, sich selbst auf diese Weise zu limitieren. Ob wir jetzt ein Piano oder Gitarren benutzen… Wir machen es einfach! Wenn das Demo Tykos Kind war, war „airut:aamujen“ mein Kind. Ich hatte diesen Wunsch und die Vision, ein Pianoalbum zu kreieren, mit Schlagwerk und Bass. Natürlich hat mir Tyko dabei geholfen, aber es war mein Kind und daher auch etwas wichtiger für mich.

Convolutum: Ich weiß, dass Ihr mit der Bezeichnung „Neofolk“ nie so recht zufrieden gewesen seid und dass Euch auch die Begrenztheit Eurer Bekanntheit, Eurer Vertriebswege auf die Metal- und Gothicszene ebenfalls stört. Kann man da von einer Hassliebe sprechen?

Tyko Saarikko: Ich persönlich kümmere mich nicht darum, ob man uns jetzt mit „Neofolk“ oder „Metal“ kategorisiert, wobei letzteres schon abwegig ist. Ich möchte halt nur nicht auf „Neofolk“ limitiert werden oder nur als „Neofolk“ bezeichnet werden. Sicher haben wir Lieder, auf die das Etikett zutrifft, aber eben nicht nur. Wir haben auch andere Seiten, aber eigentlich kümmern mich diese Schubladen nicht. Mir ist es auch egal, vor wem ich auftrete. Wenn es „Neofolker“ sind, ist es okay, wenn nicht, dann nicht, dann eben andere.

Ilmari Issakainen: Es ist eher so, dass andere Leute, Freunde, Bekannte, Fans, dieses Etikett „Neofolk“ als störend für uns empfinden. Wir fühlen nicht so, wir denken echt nicht darüber nach.

Tyko Saarikko: Wir haben sicherlich Querverbindungen zum Metal, von den Gitarrenstrukturen her, aber halt mit Akustikgitarren, vielleicht wie Doom. Neofolk an sich ist viel folkbetonter…

Convolutum: Meines Wissens steht Ihr immer noch etwas abseits der finnischen Musikszene. Warum ist es so schwer für Euch, in Eurem Heimatland Fuß zu fassen?

Ilmari Issakainen: Ich glaube, das ändert sich aktuell.

Tyko Saarikko: Vor fünf Jahren hatten wir kaum einen Vertrieb in Finnland. Es war also für Interessierte sehr schwierig, an die CDs ranzukommen. Meistens mussten sie die CDs direkt aus Deutschland bei Prophecy selbst ordern. Mittlerweile haben wir aber ein finnisches Label, das für uns den Vertrieb übernimmt und auch Werbung macht.

Ilmari Issakainen: Dann kommt natürlich noch hinzu, dass es vor ein paar Jahren noch keine Gruppen in Finnland gab, die einen ähnlichen Stil gefahren haben. Mittlerweile rücken aber neue Gruppen nach, die unserem Stil ähnlich sind und auch Neofolk spielen. Vor ein paar Jahren war Neofolk in Finnland noch so gut wie unbekannt. Jetzt wächst da was, es passiert bei uns halt immer alles etwas später als in Deutschland (lacht).

Convolutum: Was haltet Ihr eigentlich von Gruppen wie October Falls oder Nest die sich doch, die einen stärker, die anderen schwächer, an Eurem Stil orientieren, ich will nicht sagen, kopieren…

Ilmari Issakainen: Ich denke schon, dass sie ihren eigenen Stil haben und uns nicht kopieren. Mit Nest haben wir schon ein paar Mal zusammen in Finnland gespielt. Natürlich ist es schön zu sehen, dass sich jemand an dir orientiert.

Tyko Saarikko: Nest sind vielleicht zu „Ambient“ für mich, aber dennoch eine sehr eigene Band. October Falls liegt mir persönlich mehr, ich mag ihre Akustik.

Ilmari Issakainen: Vielleicht organisieren wir in Zukunft ein Folk- oder Neofolkfestival in Finnland mit diesen Gruppen. Im Moment entstehen viele Projekte in Finnland, die sehr interessant sind und von denen man noch hören wird. Ich hoffe, dass diese Szene in Zukunft mehr Medienaufmerksamkeit in Finnland bekommt.

Convolutum: Ich will Euch jetzt nicht weiter mit Etiketten nerven, aber mir scheint, dass es (auch) in Finnland eine wachsende experimentelle Folk-Szene mit Projekten wie Lau Nau oder Islaja gibt…

Ilmari Issakainen: Ja, genau das meine ich…

Convolutum: Könnte das nicht eine neue Heimat für Euch werden? Musikalisch und konzeptionell sehe ich Euch dem näher als klassischen Neofolkgruppen…

Ilmari Issakainen: Ja, warum nicht! Das sind sehr künstlerische Gruppen, die es lieben, mit grellen Farben zu malen und typischen Popformaten aus dem Weg gehen. Vielleicht könnte man uns in diese Kiste stecken, aber, wie gesagt, darum machen wir uns nicht so die Gedanken. Aber diese Gruppen, wie auch finnische Neofolkprojekte, kommen, keine Frage, auch international.

Convolutum: Ihr habt jüngst mit Marja Mattlar auf ihrem „Polku“-Album zusammengearbeitet. Meines Wissens ist das eure erste „echte“ Kollaboration außerhalb von Tenhi. Wie kam dieser Kontakt zustande? Kannte sie Tenhi schon vorher?

Ilmari Issakainen: Ihr Sohn ist ein großer Tenhi-Fan. Marja nahm also Kontakt auf, sie suchte einen neuen Produzenten. Sie ist immer auf der Suche nach neuen Musikern, nach neuen Möglichkeiten der Kollaboration. Ihr Sohn gab ihr dann den Tipp, es mal mit uns zu versuchen. Natürlich mochte Marja auch selbst unsere Musik, aber ich glaube, die Ursprungsidee stammte wirklich von ihrem Sohn (lacht). Man kann tatsächlich sagen, dass Marjas „Polku“-Album für uns ein Pilotprojekt in dem Sinne war, ob wir es auch außerhalb Tenhis packen. Ich denke, für uns war ausschlaggebend, dass wir merkten, dass Marja mit demselben Ernst und demselben Qualitätsanspruch an die Musik ran geht wie wir. Ein weiterer Punkt war, dass wir merkten, dass wir uns selbst mit einbringen konnten, sie uns also Raum für unsere Ideen gab. Wir wollten auf keinen Fall nur ihre Lieder aufnehmen, also lediglich den Aufnahmeknopf drücken. Wir kamen mit unseren eigenen Ideen, und sie war davon angetan. Es war eine einmalige Gelegenheit, die wir nicht verstreichen lassen durften.

Convolutum: „Polku“ hat viel von Tenhi…

Ilmari Issakainen: Deshalb haben wir es gemacht. Sie kam mit den Texten und dem Gesang, den Rest füllten wir mit unseren Ideen.

Convolutum: Kurz zurück zum Metal: In den letzten Jahren konnte der finnische Heathen-, Pagan-, Folk- oder wie-man-es-auch-immer-nennen-mag-Metal mit Gruppen wie Finntroll, Korpiklaani, Ensiferum oder Moonsorrow international große Erfolge feiern. In meinen Augen fehlt vielen dieser Gruppen, musikalisch wie inhaltlich, die nötige Ernsthaftigkeit. Dennoch frage ich mich, ob ihr mit Tenhi davon irgendwie profitieren konntet? Was ist überhaupt Eure Meinung zu dieser Welle?

Ilmari Issakainen: Die meisten dieser Gruppen kamen zeitlich nach uns, einige der Musiker kenne ich persönlich. Aber wie du schon angedeutet hast, handelt es sich bei ihnen mehr um Partymusik, gerade Korpiklaani und so.

Tyko Saarikko: Ja, zumeist ist es Trinkmusik ohne Tiefe, Moonsorrow sind vielleicht etwas ernster. Ist aber alles nicht meine Baustelle, wir sind dafür…

Ilmari Issakainen: …zu ernst! (lacht)

Convolutum: „Tenhi“ ist ein altes, finnisches Wort für „Schamane“. Praktiziert Ihr Schamanismus oder andere pagane Praktiken oder ist es mehr ein Symbol für Eure Hingabe an die Natur?

Tyko Saarikko: Das ist mehr abstrakt gemeint. Wir erforschten schon immer das Nicht-Sichtbare und entdecken auch immer wieder etwas, hoffentlich auch in Zukunft, gerade auch durch unsere Musik. Wir versuchen, mit unserer Musik Tore zu öffnen, auch für den Hörer. Zum Reisen.

Ilmari Issakainen: Wir sind also keine „aktiven“ Heiden. Für uns ist es eher ein Geisteszustand.

Convolutum: Kann man so auch Euer Symbol verstehen, dass Ihr öfters auf Euren Veröffentlichungen und Textilien verwendet? Ich meine die beiden Dreiecke, das eine klar umrissen, das anderen verschwommen. Ich interpretiere das immer als ein Symbol für die reale und die Anderswelt, ein populäres Motiv im Schamanismus.

Ilmari Issakainen: Das stimmt. Es ist ein Symbol für die materielle Welt einerseits und die spirituelle andererseits. Die Linie ist das Leben dazwischen.

Convolutum: Was hält Tenhi für uns in Zukunft bereit?

Tyko Saarikko: Wir haben insgesamt zwei bis drei Stunden neues Material angesammelt. Der Plan ist, das Material möglichst schnell einzuspielen und „airut:savoie“ vielleicht schon 2008 zu veröffentlichen.

Ilmari Issakainen: Wir wollen noch nicht zu viel verraten. Zum Veröffentlichungszeitpunkt möchte ich mich zurückhalten, da wir auch noch andere Prioritäten im Leben haben. Wir möchten es aber natürlich am liebsten so schnell wie möglich veröffentlichen und vier Stunden am Tag daran arbeiten (lacht). Wir würden auch gerne wieder mehr Konzerte geben.

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