Andrea Haugen: When the Witch was silenced

Am 13. Oktober 2021 wurde Andrea Haugen Opfer eines salafistisch motivierten Femizids im norwegischen Kongsberg, bei dem vier Frauen und ein Mann ums Leben kamen. 

Anlässlich ihres dritten Todestags wird hier ein Interview veröffentlicht, dass ich vor 20 Jahren mit Andrea Haugen geführt habe. Anlass war die Veröffentlichung des ersten Nebelhexë-Albums „Laguz - Within the Lake", mit dem sich Haugen von ihrem alten Projekt Hagalaz Runedance löste. Neben Musik ging es auch um die patriarchale Gewalt monotheistischer Religionen, der sie am Ende ihres Lebens selbst zum Opfer fiel.

Thematisiert wurde auch das nebenstehende, vom Film „Titus“ inspierierte Foto von Andrea Haugen: „Für mich spiegelt es eines meiner Lieder, 'When the Trees were silenced', wieder und ebenso gut steht es als Bild für 'When the Woman or Witch was silenced'“, so die Nebelhexë 2004.
 

Convolutum: Zwischen dem letzten Hagalaz Runedance-Album "Frigga’s Web" und dem Nebelhexë-Debut "Laguz -Within the Lake" sind einige Tage vergangen. Möchtest Du uns aus dieser Zeit erzählen? 

Andrea Haugen: Es sind ja nur zwei Jahre zwischen "Frigga's Web" und "Laguz" vergangen. Ich habe schon direkt nach der Veröffentlichung von "Frigga's Web" an den Arbeiten für das neue Album begonnen. "Laguz" wurde 2003 aufgenommen, aber die Plattenfirma (Karmageddon Medias, Anm. Convolutum) ließ sich mit der Veröffentlichung Zeit. Während dieser Zeit nahm ich das Video für "Wake to Wither" auf und arbeitete an Gemälden und Comics.

Convolutum: Dein neues Album verbindet Hagalaz Runedance-Markenzeichen mit neuen Elementen der Elektronik und mit E-Gitarren. Hätte das Album nicht auch als reguläres Hagalaz Runedance-Album erscheinen können oder steckt hinter der neuen Namensgebung und dem erneuten Verwenden Deines alten Pseudonyms „Nebelhexë" aus Aghast-Zeiten mehr als das äußere Zuschautragen eines neuen musikalischen Stils? Im Beiheft schreibst Du über Dein Bedürfnis, Dich wieder zurück zu Deinen Ursprüngen zu begeben.

Andrea Haugen: Nach drei erfolgreichen Hagalaz Runedance-Alben, allesamt der nördlichen Spiritualität und musikalisch dem folkloristischen/mittelalterlichen Stil gewidmet, fühlte ich mich vom musikalischen Stil und dem Konzept, das ich mit Hagalaz Runedance erschuf, eingeengt und wollte mich weiterentwickeln. Ich hatte alles erreicht, was ich mit diesem Stil erreichen wollte. Damit und mit meinem Buch „Die alten Feuer von Midgard" bekam ich eine wenig abwechslungsreiche Anhängerschaft und mir wurde ein Image aufgedrückt, das nicht mehr meinem Selbst entsprach. 

Ich fühlte, wie ich die achtbare „weise Frau aus den Wäldern" wurde, die „nette Folk-Musik spielt" und dies begann mich zu stören, denn dieses Bild entspricht mir nicht wirklich. Ich bin viel eher ein böses Mädchen (Gelächter), eine Person, die das Leben lebt und viele wilde Sachen in ihrem Leben erlebt hat… Und ich hatte das Verlangen zu zeigen, wer ich wirklich bin und was ich in meinem Leben erlebt habe.

Und so verspürte ich das Verlangen, die vielen Möglichkeiten Musik zu erschaffen zu entdecken und wollte meinen Fokus generell mehr auf meine Gefühle, Träume, meinen obskuren Erfahrungen, Parallelwelten und die mich umgebende Magie werfen. 

Im Moment möchte ich nur erschaffen, mein Innerstes zum Ausdruck bringen, zu mir selbst wahr sein, ohne mich selbst zu beschneiden oder mich jemals wieder auf ein spezielles Genre zu beschränken. Als Künstlerin (und Heidin) versuche ich mich immer weiterzuentwickeln, zu entdecken und die Herausforderung zu suchen. 

Ich habe auch angefangen, auf anderen künstlerischen Feldern zu arbeiten; zum Beispiel visuelle Kunst und Konzepte für Videos zu erschaffen. Ich habe mein altes Pseudonym „Nebelhexë" wieder belebt, weil ich das Gefühl hatte, „zurück zu meinen Wurzeln zu gehen", das heißt zurück zu den dunkleren und okkulteren Visionen, die ich damals während meiner Zeit in London hatte. Aber ich möchte betonen, dass dies nichts mit dem Projekt Aghast zu tun hat, dessen Teil ich 1994 war. Ich bin nie wirklich in dieser Ambient-Musik aufgegangen, dieses Projekt repräsentiert nicht wirklich meine musikalischen Ideen. 

Convolutum: Nicht nur musikalisch hast Du Dich gewandelt. Auch lyrisch gehst Du neue Wege. Am augenscheinlichsten ist Deine verstärkte Beschäftigung mit Seelenreisen und Anderswelten. Mir scheint aber auch, dass Du Dich vom strengen, germanisch-heidnischen Konzept der Hagalaz Runedance-Alben etwas gelöst hast und nun auch verstärkt Elemente keltischer und griechischer Mythologie verwendest. Dass Du einem eher universal-heidnischen Weg verfolgst ist bekannt, aber gibt es einen bestimmten Grund das Du dies nun auch textlich nach außen trägst?

Andrea Haugen: Ja, ich fühle, dass ich meine persönlichen Gedanken und Visionen mittlerweile viel stärker ausdrücke. Natürlich drückte ich schon mit Hagalaz Runedance meine persönlichen Ideen aus, aber der einzige Fokus lag in den letzten Jahren auf der nördlichen Spiritualität und ich habe dieses Reich in den letzten Jahren vollstens ausgeschöpft. Im Moment will ich wieder meine anderen spirituellen Visionen erkunden, Sachen wie keltische, griechische oder tantrische Magiesysteme, unter vielen anderen Dingen.

Convolutum:  "Laguz" enthält viele Elemente aus dem Goth Rock und Du hast Dich auch als Reminiszenz zu dieser Szene für die Vertonung des Lene Lovich-Liedes "Bird Song" entschieden. 

In den letzten Jahren konnten wir beobachten, dass klassischer Death Rock wieder zunehmend Erfolge feiert, besonders Diva Destruction wären hier zu erwähnen. Von dieser Entwicklung konnten auch profiliertere Gruppen wie Faith and the Muse oder Incubus Succubus profitieren. Hat Dich diese Retro-Welle, vielleicht unbewusst, beeinflußt? Auch die Wicca-Philosophie, über die Du Dich noch im Rahmen eines Zwiegesprächs mit Gavin Baddeley in dessen Buch „Lucifer Rising" tendentiell eher kritisch geäußert hast, scheint auf Dein neues Schaffen einen gewissen Einfluss gehabt zu haben.

Andrea Haugen: Ich höre schon alte Goth-Musik und achtziger Jahre New Wave und Synthie Pop seit jungen Jahren und bin seit ich ein Teenager war Teil der alternativen Musikszene. Ich hatte schon seit langem vor, von dieser Ära beeinflusste Musik, die mich sehr inspirierte, zu machen. Um einige Beispiele zu nennen: Gruppen wie Depeche Mode, Killing Joke, Bauhaus, Kate Bush, Dead can Dance, Skinny Puppy etc.

Ich hatte viele Ideen mit Musik zu experimentieren. Ich versuche nicht einen bestimmten Stil zu kopieren, ich möchte nur die Musik kreieren, die mir in den Sinn kommt, ohne Beschränkungen.

Zur zweiten Frage: Irgendetwas was ich vielleicht 1993 gesagt haben soll ist heute irrelevant! Und überhaupt: Woher will jemand wissen, dass ich wirklich ein Interview mit Gavin Baddeley geführt habe? Dieser Typ sprach mich irgendwann in England an und viele Jahre später finde ich mich in einen total veralteten Buch über Black Metal wieder, nur weil ich zwischenzeitlich eine bekannte Künstlerin geworden bin. Er hätte niemals etwas von mir abgedruckt, wenn ich nicht eine bekannte Person geworden wäre. Und so kommt er einfach daher und versucht die Reputation, die ich mit Hagalaz Runedance aufgebaut habe, zu zerstören. 

Genauso versuchte er viele andere Künstler in den Schmutz zu ziehen, die von den alten Dingen aus ihrer Vergangenheit, die er in diesem Buch verbreitet, wirklich angepisst waren. Sie gaben ihm nie die Erlaubnis, die Bilder, die er benutzte, zu verwenden. Und dann hat er die Frechheit, über mein Privatleben, über das er nichts weiß, zu reden! Also bitte: Beziehe Dich nicht auf dieses Buch!

Convolutum: Man hört, Du arbeitest mit Didrik Søderlind an einer norwegischen Übersetzung von Anton Szandor LaVeys Satanischer Bibel?

Andrea Haugen: Nein, Didrik Søderlind hat die Satanische Bibel nicht übersetzt, eine Firma namens Wolf's Lair ist dafür verantwortlich und ich las Korrektur.

Convolutum: Du hast zum Lied "Wake to Wither" ein Video produziert. Wie kam das zustande? 

Andrea Haugen: Ich hatte schon lange die Idee ein Video zu machen und endlich war es mir finanziell möglich eines zu produzieren. Das Lied handelt von einem sehr persönlichen, dunklen Gefühl, es ist ein Lied mit einer sehr dunklen Atmosphäre. Es geht um das Leben im Hier und Jetzt und nur die Träume zeigen uns das wahre Leben. Es wurde vom künstlerischen Video-Team Akff produziert. Ich wollte eine David Lynch-mäßige Atmosphäre erzeugen. Ich bin sehr von David Lynch inspiriert.

Convolutum:  Das Album entstand unter enger Zusammenarbeit mit Deinem langjährigen Hausproduzenten Thorbjørn Akkerhaugen und meines Wissens hast Du Dich auf "Laguz" erstmalig nur auf den Gesang konzentriert. Wie verlief die Arbeit mit Thorbjørn?

Mir stellt sich bei der Musik von Laguz auch die Frage nach der musikalischen Umsetzung im Rahmen einer Konzertreise. Sind Konzerte von Deiner Seite überhaupt angedacht?

Andrea Haugen: Die Arbeit mit Thorbjørn macht immer Spaß, wir sind sehr gute Freunde, haben tiefsinnige Gespräche und wir arbeiten wirklich gut zusammen.

Ich liebe es live aufzutreten und die Atmosphäre meiner Lieder rüberzubringen. Jetzt, wo ich die mittelalterlichen Instrumente beiseite gelegt habe, ist es viel einfacher passende Musiker zu finden, die mit mir auf alternativen Festivals auftreten werden… Ich hoffe also, mit meiner neuen Gruppe großartige und visuelle Auftritte zu spielen, ich kann es wirklich nicht erwarten, die neuen Lieder live zu spielen und auf der Bühne zu stehen.

Convolutum: Kommen wir auf die vielseitige Gestaltung Deines neuen Werkes zu sprechen, an der neben Dir viele andere Künstler beschäftigt waren. Das Titelbild entstand unter Mithilfe des Fotografen Mark Coatsworth. Ich muss gestehen, dass es mich an den Film "Blair Witch Project" erinnert. Haben die Rauten aus Zweigen, die Du an den Händen hältst, eine mir unbekannte historische Bedeutung in Hexenkulten oder ist diese Idee Deiner Phantasie entsprungen?

Andrea Haugen: Mark Coatsworth nahm das Bild auf, erschaffen wurde die Titelbild-Gestaltung von mir selbst und 'Da Grimzta'. Als ich wieder zur "Nebelhexë" wurde und all’ meine neuen künstlerischen Ideen umsetzte, gab es drei Filme die ich sah und die ich sehr inspirierend fand: "Titus" (die Verfilmung des Shakespeare-Stückes Titus Andronicus mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle, Anm. Convolutum), "The Ring" und die bizarre Serie "Gormenghast". 

Die dort gezeigten Bilder haben mich sehr an meine eigenen dunklen, künstlerischen Visionen erinnert, von denen ich fühlte, sie viel zu lange ignoriert zu haben. Und so hatte ich das Gefühl sie wiederzuerwecken und dann sah ich dieses wahnsinnig dunkle und schöne Bild von Lavinia in Titus und das wirkte wie ein Ruf für mich. Ich sah sogar etwas sehr persönliches in diesem Bild, für mich spiegelte es eines meiner Lieder, "When the Trees were silenced", wieder und ebenso gut steht es als Bild für "When the Woman or Witch was silenced". Ich sah eine Verbindung und musste dieses Bild benutzen.

Convolutum: Im Vorfeld der Veröffentlichung von "Laguz – Within the Lake" war zu lesen, daß sich Martin Walkyer (Sabbat, ex-Skyclad) musikalisch einbringen würde. Dazu kam es leider anscheinend nicht. Warum eigentlich?

Andrea Haugen: Nein, Martin Walkyer sollte nicht an Laguz teilhaben, vielmehr sollte ich Teil seiner neuen Gruppe Clan Destinied werden. Wie auch immer, es scheint, dass der Clan Destinied nur langsam vorankommt…

Convolutum: Den Folgen des 11. September, den bisherigen Höhepunkt im Kampf der monotheistischen Kulturen, kann man sich auch als Heide nicht entziehen und sind weithin spürbar. Merkwürdigerweise waren nach diesem Ereignis die Gotteshäuser aller beteiligten Religionen voll wie nie. Aktuell wird in der EU die Frage eines Gottesbezuges in der zukünftigen Verfassung diskutiert und der katholische Einfluss wird mit den neuen EU-Mitgliedern womöglich noch wachsen. Nun lebst Du in Norwegen als Nicht-EU-Land in einer Oase der Glücklichen, aber was denkst Du darüber? Gibt es gemeinsame christliche und/oder europäische Werte? Asatru-Freunde aus den USA haben regelrechte Angst vor dem Erstarken des Betonkopf-Protestantismus im neuen Amerika unter George W. Bush. Erleben wir womöglich, vor dem Hintergrund eines sich ständig hochschaukelnden Konflikts der abrahamistischen Religionen, welcher zunehmend keine Nuancen zwischen fundamentalistischer und moderner Ausrichtung der Religionen mehr kennt, eine christliche Renaissance?

Andrea Haugen: Ja, die ganze Sache ist sehr erschreckend. Ich hoffe wirklich, dass Bush mit seinen kranken, christlichen Reden verschwindet und nicht als Präsident wieder gewählt wird. Ich hoffe auch, dass Michael Moores Dokumentation einigen Leuten dort drüben die Augen öffnen wird. Der Kampf der monotheistischen Religionen ist blutiger Irrsinn, es ist überall derselbe Wahnsinn und es ist einfach nur tragisch zu sehen, wozu er Leute anstiftet. Es ist wirklich höchste Zeit, dass die Menschen erkennen, dass der religiöse Glaube eine persönliche Sache ist und auch als solche behandelt werden sollte. Und es ist wichtig gegen fundamentalistische Religionen vorzugehen, bevor sie erneut anfangen, uns in Ketten zu legen.

Convolutum: Kennst Du eigentlich Allerseelens Bearbeitung Deines Liedes "On Wings of Rapture", "Horusknaben"? Gefällt sie Dir? Ich frage, weil ich in den vier Jahren, in denen das Lied existiert, noch nie über eine Reaktion Deinerseits gelesen oder gehört hätte...

Andrea Haugen: Ja, ich kenne sie. Gerhard Petak mochte das Lied und wollte einen Teil von ihm benutzen. Ich sehe das als ein Kompliment. Aber es ist nicht wirklich mein Musikgeschmack…

Convolutum: Abschließende Worte?

Andrea Haugen: Ich hoffe, die Leser finden mein neues Album inspirierend und verstehen die Emotionen, die ich rüberbringen möchte… Ich arbeite an einem neuen Album, der Titel wird (natürlich nur, wenn ich ihn nicht noch ändern werde) "From the Dreamside" sein.

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