Strindberg und Liebenfels: der Meister und sein Äffling

 

Im Jahr 1929 erlebte die eigentlich Kummer gewöhnte August Strindberg-Forschung einen Schock: Ferdinand Leopold Soeser glaubte in seinem Artikel „Strindberg in Österreich“, erschienen im Magazin „Der neue Flug“, zu wissen, dass der große Schwedische Dramatiker im Jahre 1896 dem Orden des neuen Tempels des Jörg Lanz von Liebenfels beigetreten sei. Das war Eingeweihten des Ordens nicht fremd: schon seit 1921 wurde der (allerdings schon 1912 verstorbene) Strindberg von Liebenfels als Familiar des Ordens im Regularium Fratrum Ordinis Novi Templi geführt. 


Spaziergänge an der Donau


Sicher ist: Seine Ehe mit der Feministin Frida Uhl führte Strindberg, den „Dichter des Frauenhasses“ (Laura Marholm), 1894 und 1896 zweimal nach Dornach an der Donau. Dort, im Strudengau, will ihn Liebenfels 1896 in einer schicksalhaften Begegnung getroffen haben. Liebenfels befand sich mit zwei Begleitern in einer Gaststätte, der geplante Kauf der in unmittelbarer Nähe befindlichen, späteren Ordensburg Werfenstein hatte ihn hierhin geführt: „Als wir vom Gasthof zur Besichtigung der Burg gehen wollten, stellte sich uns ein Herr, mit interessantem Gesicht, gutem Kopf, aber wild flatternden Haaren vor. Ich dachte mir: wie der Zauberer Klingsor – aber in Wirklichkeit war es der berühmte schwedische Schriftsteller August Strindberg. Er bat, sich uns anschließen zu dürfen.“ (Arithmosophoikon)


Auf dem Weg zur Burgruine soll ihn Strindberg von seinen alchimistischen Experimenten und seinen Plänen, einem Mönchsorden beizutreten, erzählt haben. Ferner will Liebenfels mit seinem schwedischen Begleiter kabbalistische Spiele mit dem Namen aus dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied gespielt haben, was beide zur Feststellung geführt haben soll, das Werfenstein die Residenz von Attilas Frau gewesen sein muss. Von der Ruine selbst zeigte sich Strindberg „aufs tiefste ergriffen“.


Strindberg war zu seinen Lebzeiten immer ein Suchender gewesen. Anfangs überzeugter Nietzscheaner, distanzierte er sich 1889 nach dem Nervenzusammenbruch seines Meisters, mit dem er im Briefkontakt stand, zunehmend von ihm. Seine Sinnsuche gipfelte in den Jahren 1895 bis 1896 in der sogenannten „Inferno-Krise“: Okkulte Erfahrungen, chemische Selbstversuche, Absinth-Rausche, Drogenexzesse, Verfolgungswahn, eine Selbstmord-Reihe im Bekanntenkreis, die unglückliche Ehe mit Frieda Uhl, die gerade, ohne sein wissen, ein Kind von Frank Wedekind erwartete. 


Strindberg erhebt den schwedischen Mystiker Emmanuel Swedenborg zu seinem neuen Leitstern, im katholischen Mystizismus glaubt er seine neue Heimat zu finden. Aber Zweifel bleiben. Als die mysteriöse Reisegruppe nun am nächsten Tag durch die stillen Steinklamm bei Grein wandert, glaubt Liebenfels, rückblickend, die endgültige Wandlung des schwedischen Meisters mitzuerleben: „Hier wurde seine Seele gelöst, rang sich sein Geist, seine suchende Seele aus einem Atheisten zu jenem tiefgläubigen Menschen durch, als den wir ihn in seinen darauf folgenden Werken „Weg nach Damaskus“, „Inferno“, ,Entzweit“, „Einsam“ und in den „Blau-Büchern“ kennen.“

Zurück nach Schweden


Im Anschluss an seinen Österreich-Aufenthalt fährt Strindberg wieder nach Schweden zurück. Liebenfels will ihn noch drei- oder viermal getroffen haben. Die nächste greifbare Spur ergibt sich aber erst wieder im Jahr 1904: in der Privatbibliothek von August Strindberg findet sich ein Exemplar von Liebenfels’ „Theozoologie“, die dieser scheinbar nach achtjähriger Funkstille dem nordischen Dichterfürst schickt. Strindberg wiederum scheint das Buch erst zwei Jahre später gelesen zu haben, was angesichts der angeblich so engen Beziehungen zwischen den beiden merkwürdig anmutet: Denn erst am 10. Juli 1906 verfasst er einen euphorischen Brief an den Österreicher: „In einem Zuge habe ich Ihr Buch gelesen und bin erstaunt: ist das nicht das Licht selbst, so bleibt es eine Lichtquelle. Seit „Rembrandt als Erzieher“ habe ich nicht so eine Prophetenstimme gehört. Seien Sie gegrüßt! August Strindberg “ (Faksimile-Abdruck in: Das Buch der Psalmen Teutsch)

Ausdruck findet diese Begeisterung Strindbergs für den österreichischen Wirrkopf vor allem in seiner Aufsatzsammlung „Ein Blaubuch“, indem Liebenfels 15mal positiv zitiert wird. So trifft Liebenfels’ Herleitung des Menschengeschlechts aus zwei verschiedenen Ursprüngen, einem göttlich-arischen und einem affisch-tschandalischen, bei Strindberg ebenso auf ein positives Echo wie die Schuld der Frau an der Degeneration der blonden Ur-Arier: „Man findet weiße Männer, die von Affenfrauen verführt wurden.“ (Ein BIaubuch, 1907). Der ehemalige Darwinistische Atheist Strindberg tituliert nun den Darwinismus als das „Goldene Zeitalter“ der Äfflinge und nennt Lanz von Liebenfels’ „Theozoologie“ in einem Brief an seinen deutschen Übersetzer Emil Schering ein „furchtbares Buch gegen die Neuheiten!“ (Briefe an Emil Schering). 


Wie so oft bei Strindberg ebbte die anfängliche Begeisterung aber ebenso schnell wieder ab, wie sie gekommen war: das ein Jahr später entstandene „Blaubuch II“ geht nur einmal, in einer Abhandlung über Emmanuel Fremiets Skulptur „Geraubt“, auf Liebenfels ein. Danach erscheint dessen Name in Strindbergs Werk nie mehr.


Aufschluss über diese Ungereimtheiten gibt ein Brief von Liebenfels vom 20. September 1911 an Strindberg: „Indem ich ihnen, hochverehrter Meister, für die neuerliche freundliche Erwähnung im „Buch der Liebe“ herzlich danke, komme ich mit einer bitte zu Ihnen. Der schwedische Professor Lundborg hat unlängst eine „Idee“ vorgetragen, die ich seit zehn Jahren schon ausgeführt habe. Ich bitte Sie, werter Meister, freundlichst, wenn es Ihnen keine Umstände macht, beiliegende Notiz irgendeinem schwedischen Blatt zum Abdruck zu empfehlen. Mit freundlicher Empfehlung und arischem Tempeleisengruß. Ihr aufrichtig ergebener Verehrer u. Bewunderer Lanz--Liebenfels. PS: Nach „Inferno“ müssten sie die Gegend um Grein kennen, also auch Werfenstein?“ (Strindbergsammlingen, königliche Bibliothek Stockholm)
Man beachte den Nachtrag des Briefes. Aus ihm geht eindeutig hervor, dass Liebenfels Strindberg nie in jenen Tagen des Jahres 1896 an der Donau getroffen hat, ja wahrscheinlich sogar überhaupt nicht. 

 

Geldnot macht erfinderisch

Friedrich Buchmayr, dem wir diese Entdeckung verdanken, hat eine mögliche Erklärung für diesen Coup des Lanz von Liebenfels: Noch bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erwähnt Liebenfels den Schweden in seinen Ostara-Publikationen wenn, dann nur als Geistesverwandten (ein eifriger „Förderer unserer antifeministischen und rassenerzieherischen Bestrebungen“, Ostara, Nr. 57), niemals als Mitglied. Seit 1917 plagten ihn aber Geldprobleme, die Ostara musste eingestellt werden, eine kostspielige Odyssee mit Wohnsitzen in Österreich, Ungarn und Deutschland folgte. Mit dem gezielten Verbreiten der Falschmeldung, der 1912 verstorbene Strindberg sei Mitglied seines Ordens gewesen, erhofft er sich die nötige Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel zum Neuanfang.


Den Anfang machte die Publikation des Strindberg-Briefes vom 10. Juli 1906 als Werbedruck für sein Buch der Psalmen Teutsch. 1930 dann wurde Strindberg endgültig zum Tempeleisenchrist verklärt: „Einmal war er Atheist, Realist, Christenfeind und stürzte sich in das dichteste Weltgetümmel, um aus dem Rausch als selbstquälerischer Pessimist und Antifeminist zu erwachen. Doch er ringt sich in dieser Tschandalensintflut mit Hilfe Swedenborgs zur rettenden Insel eines geläuterten Christentums durch. ( ...) Erst im Tempeleisenchristentum findet der viel gewanderte, ewig suchende Pilger seinen heiß ersehnten Seelenfrieden und den Altar, auf dem die Flammen des Pfingstglaubens an die Verklärung und die Vergottung der zukünftigen Menschen lodern. Mit der richtig verstandenen und ausgelegten Bibel auf der Brust stirbt Strindberg als Tempeleisenchrist.“ (Fra Georg, Legendarium)

 

Strindberg war also lediglich eine zeitlang begeisterter Leser diverser Schriften des Ordo Novi Templi. Neues wird er in diesem Pamphleten nicht gefunden haben: wie schon bei seiner Brieffreundschaft mit Nietzsche diente das Gegenüber nur als Bestätigung eigener Einstellungen: Misogynist war Strindberg spätestens seit dem Scheitern seiner ersten Ehe mit der Schauspielerin Siri von Essen, die durch seine Untreue ausgelöst wurde. Statt die Schuld am Scheitern seiner drei Ehen bei sich selbst und dem eigenen Unvermögen, seinen Trieb zu unterdrücken, zu suchen, dämonisierte er die Frau als fast mephistophische Verführerin. Schon 1888 nannte er Frauen „halbaffen, niedere Lebewesen ( ...) zur Zeit der Menstruation 13 mal im Jahr krank und verrückt, während der Schwangerschaft vollkommen wahnsinnig und für den Rest ihres Lebens für ihr Tun nicht verantwortlich.“ (Le plaidoyer d‘un fou) Der Weg von Strindbergs Halbaffen zu Liebenfels’ Äffling war für Strindberg nur eine Bestätigung und Spiegelung.

 

Wenig überraschend sind die biografischen Ähnlichkeiten zwischen Strindberg und Liebenfels: Auch Liebenfels musste seinen Bund fürs Leben, den Zisterzienserorden, verlassen, weil er sein Zölibat gebrochen und „fleischliche Liebe“ begangen hatte (Kapitelbuch des Ordens, 1896). Beide wurden also von Frauen zum Bruch eines heiligen Eides „gezwungen“ – so deuteten es zumindest Strindberg und Liebenfels selbst. Hinzu kamen die in jener Zeit allgemein verbreiteten chauvinistischen und rassistischen Mödeströmungen, die Begeisterung beider für sie seelischen Abgründe eines Otto Weininger und vieles mehr. 
Strindberg und Liebenfels waren also gewiss Seelenverwandte. Gleichwohl kann festgehalten werden: Ein Mitglied des Ordens des Neuen Tempels, wie unter anderem von Wilfried Daim und Rüdiger Sünner behauptet, war Strindberg nie. 

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