Frühjahr 2009: Vier Jahre waren nach dem Sunn O)))-Durchbruch „Black One“ vergangen und der darauf folgende Hype hatte Drone-Musik den Weg in die Feuilletons geebnet. Wie konnte (und wollte) das Duo um Stephen O’Malley und Greg Anderson dem noch einen draufsetzen? Antworten sollte eine Listening-Session zum neuen Album „Monoliths and Dimensions“ in den Berliner Funkhaus-Studios, in denen sonst Künstler wie Seeed, Sting oder Tokio Hotel gastieren, geben. Im Vorfeld war von der Einbeziehung Elemente der Klassik zu hören, was Schlimmes befürchten ließ.
Die Frage, ob man angesichts der unerwarteten Popularität einen besonderen Druck verspürte, nimmt O’Malley locker: „Das Interesse ist gewachsen, nicht der Druck. Druck macht man sich selber, Interesse an einem kommt von außen. Wir haben das Glück, dass wir auf unserer eigenen Plattenfirma sind, von daher kann uns keiner Druck machen.“
Blackjazz
Der erste Höreindruck zerschlägt schnell die Befürchtung, dass Sunn O))) ihren Sound in süßliche Streicher-Soße getränkt hätten. Das Geheimnis liegt in der Arbeit mit renommierten Freejazz-Künstlern, welche durch ihre Beiträge gängige Hörmuster durchbrechen, was sich natürlich hervorragend mit der Arbeit des Seattle-Kollektivs deckt. Aber wie bringt man einen über 70-jährigen Julian Priester, der schon mit Legenden wie Ray Charles oder Duke Ellington arbeitete, dazu, auf einer Drone-Platte mitzuwirken? „Priester hat in der Tat schon eine ganze Reihe beeindruckter Arbeiten abgeliefert“, gerät O’Malley ins Schwärmen: „Er wurde von Eyvind Kang ins Spiel gebracht.“ Kang ist ein junger Violinist, der durch seine Arbeiten mit Faith No More‘s Mike Patton und John Zorn bereits Erfahrung in der Verschmelzung schweren Rocks mit Freejazz sammeln konnte. Auf „Monoliths and Dimensions“ half er Sunn O))) bei der Arbeit mit klassisch ausgebildeten Musikern wie dem Organisten Steve Moore oder der Sängerin Jessica Kenney, die er zum Großteil erst ins Boot brachte. „Sie kennen sich alle über das Cornish College of the Arts in Seattle, eine Universität, an der auch Musik gelehrt wird. Ich glaube, dass Priester eine Zeit lang an dieser Hochschule lehrte.“
Bei so viel zum Teil exotischem Instrumentarium – von Schneckenhörnern über Klarinetten bis zur Harfe – fragt man sich, wie eine Live-Umsetzung aussehen könnte. Hier schaltet sich zum ersten Mal Greg Anderson ein: „Wir werden jedenfalls und definitiv keine Samples einsetzen! Wir denken darüber nach, die Stücke umzuschreiben oder einige der auf der Scheibe verwendeten Instrumente live zu nutzen. Oder die jeweiligen Musiker mit auf die Bühne zu bringen. “ O’Malley nimmt den Gedankengang auf: „Das wäre wirklich interessant. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir vorhaben, uns in eine Big Band zu verwandeln.“ Zumal das Ganze kostet. Anderson, für Gitarre und Bass zuständig, übernimmt: „Das wäre dann wahrscheinlich auf wenige Konzerte beschränkt. Wir würden das dann gerne an speziellen Orten - Theater oder Opern - durchführen.“ Daneben wird es auch abgespeckte Live-Versionen, etwa beim kommenden Auftritt der beiden auf der Berliner Volksbühne am 24. Mai 2009, geben.
Tofu, Tibet, Theosophie
In Berlin wird Mayhem-Sänger Attila Csihar, der nach dem Gastspiel von Xasthurs Malefic auf „Black One“ wieder für den Gesang zuständig ist, fehlen. Leider fehlt er auch beim Interview, weshalb die beiden Instrumentalisten die lyrischen Leistungen des Ungarn nur kommentieren, nicht aber erklären können. „Agatha“ zum Beispiel scheint von theosophischen Theorien über ein unterirdisches, esoterisches Zentrum beeinflusst zu sein, welches unterhalb des Himalajas liegen soll. Helena Blavatsky setzte dieses Zentrum noch mit dem tibetanischen Shambala gleich – eine Idee, die von Ferdynand Ossendowski oder René Guénon zur Idee von Agatha fortgeführt wurde. „Attila kommt immer mit diesen verrückten Ideen“, lacht O’Malley: „Einmal erzählt er uns auf einer Fahrt zu einem Konzert von seiner Theorie, wonach die herrschenden Familiendynastie von den Habsburgern bis zu den Bushs eigentlich Aliens seien.“
Mit ihrem Stil und der Schnittmenge aus E- und U-Musik, Einflüssen aus Metal, Indie, Jazz und Klassik und Kollaborationen mit Musikern ganz unterschiedlicher Prägung – von Mayhem bis Freejazz – stehen Sunn O))) ziemlich alleine da. Da ist es fast logisch, dass die Anhängerschaft der Band von Land zu Land sehr unterschiedlich ist. In Deutschland wird Sunn O))) bislang kaum von der Metalpresse gefeiert, eher schon in der Indie-Presse oder in der FAZ. „Wir lieben die deutsche Metalszene, weil sie noch so traditionell ist“, kommentiert Greg. Das stimmt, macht die Sache für Sunn O))) aber nicht einfacher. „Ich weiß. Aber die Leute haben ja nicht immer nur Bock auf Hamburger.“ Ein interessanter Vergleich: Aber wenn traditioneller Metal Fastfood ist, was ist dann Sunn O)))? O’Malley, zögernd: „Tofu?“ Ob das dem gemeinen Metalhead schmeckt?
Das Album „Monoliths and Dimensions“ – ein erster Höreindruck
Agatha: Das Album beginnt zunächst wie ein typisches Sunn O)))-Stück, das so auch von einem der weißen oder schwarzen Vorgängeralben stammen könnte. In 17 Minuten baut sich vorsichtig, Schicht für Schicht, eine Gitarren-/Bass-Tonwand auf , in die – nach einem zeitlichen Spannungsbogen – die akzentbehaftete Erzählstimme Attilas einfällt. Man fühlt sich auf die Bergwelt des Himalayas versetzt, bis plötzlich Streicher, Violinen und Hornklänge, unter anderem aus den Händen Eyvind Kangs (John Zorn, Bill, Frisell, Marc Ribot) und Julian Priesters (Herbert Hancock, John Coltrane, Sun Ra Arkestra) dem Zuhörer jeglichen Halt nehmen und in einem luziden Falltraum in das Innere einer Hohlwelt werfen. Die Skepsis, ob eine Zusammenarbeit der Drone-Legende mit klassischen Elementen nicht zum Discount-Pomp führen könnte, ist schnell verflogen: Agatha klingt mehr nach Arvo Pärt denn nach Metallicas SM-Spielen.
Big Church: Der künstlerische Ausflug des Duos in die Bergener Domkirche 2007 hat Spuren hinterlassen. Ein ätherischer, amerikanisch-österreichischer Frauenchor begleitet die Gitarrenwand des Duos, zu denen sich an der Sechssaitigen auch Earths Dylan Carlson und der Australier Oren Ambarchi gesellen. Das entrückt himmlische Gesamtergebnis wird abgerundet durch Attilas Rezitation einer ungarischen Sator Arepo-Formel, der bei der Gelegenheit auch zum ersten (und letzten) Mal seinen Obertongesang auspackt.
Hunting and Gathering (Cydonia): Das Sinister-maskuline Gegenstück zu „Big Church“. Bläser und ein tiefer Männerchor, bestehend unter anderem aus Daniel Menche und ex-Melvin Joe Preston, kreieren ein genuin babylonisches Tempel-Feeling. Eines der elektronischeren Stücke des Albums mit besonderer Präsenz Rex Ritters und Steve Moorse an den Synths
Alice: „Who the fuck is Alice?“ Alice Coltrane, die Ehefrau von John Coltrane, einem meiner Lieblings-Jazzer“, erläutert O’Malley direkt im Anschluss. Die gleichnamige Hommage stellt den Abschluss des über 50-minütigen Werks dar und ist rein instrumental gehalten. Das Stück arbeitet klassisch mit sich steigernden Flächen, um sich gegen Ende in wagnerianischen Pathos emporzuschwingen. Den Abschluss bildet eine von Bläsern begleitete Harfe.
Fazit: Das Werk hinterlässt am Ende begeisterte Journalisten, und doch geteilte Meinungen. Während die eine Hälfte keine großartige Kursveränderung ausmacht, fachsimpelt die andere über die starke Jazz- und Klassik-Schlagseite des Albums. Die Diskussionen werden im dunkler werdenden Berlin noch spät in die Nacht fortgeführt.
©convolutum.de Alle Rechte vorbehalten.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.