Um Jesus und den Schlaf geht es auf den ersten Blick im Stück „Jesus of the Moon“, welches auf einer abstrakten Ebene wohl von den Gefühlen eines Mannes handelt, der seine Frau verlässt; Hier ist sich Cave selbst nicht ganz sicher. Offenkundiger ist hingegen das Motiv des Mondes, der das weibliche Geschlecht symbolisiert. „Ja, definitiv, und ich bin mondsüchtig.“
Das schwierige Verhältnis zwischen Frau und Mann ist neben religiöser Sinnsuche und chiffrierten Aufarbeitungen von Caves Drogenerfahrungen vielleicht das zentrale Thema des Albums. „Today’s Lesson“ etwa kreist um den männlichen Sexualdrang, der Frauen mitunter ziemlich nerven, aber auch handfeste und mitunter tödliche Folgen haben kann.
„Ich versuche, künstlerisch das männliche Verlangen nach Frauen zu vermitteln “, skizziert der Musiker. „Mir fällt da oft ein Zitat von Marilyn Monroe ein: ‚Ich bewege mich dauernd im Unterbewusstsein aller Männer.‘ Sie meinte damit das auf sie projizierte Begehren: Jeder wollte sie ficken! Sie lebte in der kollektiven Phantasie der gesamten Welt. Und das brachte sie um. Du kannst dem Begehren der gesamten Welt einfach nicht standhalten. Und genau das passierte ihr.“
Die Frage, ob der Mann also ein von Natur aus böses Geschlecht habe, beantwortet der charismatische Sänger zurückhaltend, aber bemerkenswert offen und autobiografisch: „Je älter man wird, desto sexbesessener wird man. Wenn du deine Endvierziger erreichst, redest du bloß noch von Sex. Bei Licht betrachtet, ist das ein einziger, riesiger kosmischer Witz: Dass du zu dem Zeitpunkt, an dem du unattraktiv wirst, diese Nöte entwickelst!“
Verleitet dieses vermutlich ironisch gefärbte Selbstbild nicht auch zu der Überlegung, inwiefern man als Mann austauschbar ist? „Wie meinst du das, austauschbar?“ Nun, die weiblichen Figuren in Stücken wie „Hold on to yourself“ oder „Midnight Man“ scheinen ganz gut ohne Kerle auszukommen. Inwieweit ist Nick Cave austauschbar – als Ehemann oder Liebhaber? „‘Midnight Man‘ ist ein wahrhaftig ungewöhnliches Lied, absolut mindfucking. ‚Hold on to yourself‘ ist anders. Es schildert meine Gefühle, wenn ich für einen längeren Zeitraum von meiner Frau getrennt bin. Man stellt sich ja gerne vor, dass die Partnerin einen schmerzlich vermissen würde, doch eigentlich kommen Frauen wirklich prima alleine zurecht.“
Nick Cave, ein 9-to-5-employee
Sein Zuhause verlässt Cave übrigens nicht nur für Konzertreisen oder Promotouren, sondern täglich – um ins Büro zu gehen. „Viele Leute sind enttäuscht, wenn sie hören, dass ich von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends im Büro bin. Sie glauben, ein Künstler habe gefälligst den kompletten Tag auf einem Seidenkissen zu hocken, in Erwartung der Muse. Aber jeder ernsthafte Künstler muss früh aufstehen und zur Arbeit gehen, egal ob Schriftsteller, Maler oder Musiker. Du musst zur Arbeit, ob du dich gut fühlst oder nicht. Das ist das Problem mit den jungen Songwritern von heute, die Pot rauchen und auf die große Idee, die große Inspiration warten“, thomasgottschalkt Cave augenzwinkernd: „Das ist auch das Tolle an Speed: Eine Prise Speed, und du hast sofort die Illusion, direkt mit deiner Muse verbunden zu sein.“
Auch auf den erwähnten Gebieten Schriftstellerei und Malerei ist Cave selbst aktiv. 2008 konnte man in Melbourne eine Ausstellung mit seinen Videos, Notizbüchern und einigem mehr bewundern, wie er verrät: „Sie haben zum Beispiel Vitrinen mit meinen handgeschriebenen Songtexten. Von einem Lied, ‚Red Right Hand‘, sind 30 oder 40 Versionen der Lyrics versammelt, mit haufenweise Notizen: Wie die Stadt ausschaut, durch welche Gebäude der Typ mit der roten Hand spaziert... Es gab eine Menge Arbeit um das Stück herum. Für den Hörer ist das kaum wichtig, doch wenn ich ‚Red Right Hand‘ auf der Bühne singe, sehe ich noch einmal die ganze Stadt, sehe ich den Kerl mit der roten Hand und seinen Weg durch die Stadt. Es ist zugleich vertraut und mächtig, diese Welt immer wieder durch das Lied zu betreten.“
Ein Klopfen an der Tür und die Promoterin betritt den Raum: die 20 Minuten sind um. Mister Cave, Danke fürs Gespräch - mit drei!!!
Teil 1 des Interviews: über deutschen Tee, Lazarus und die Bibel sowie die Logik der Träume
...und 25 Jahre vorher 1986 in Deinze, Belgien. Copyright: Yves Lorson (Flickr), Creative Commons 2.0.
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